Dienstag, 13. April 2010

Eine kleine Demokratie

In diesem Land leben nur 20 Wahlberechtigte, weiterhin 10 Kinder und Jugendliche unter 16 und 2 darüber, sowie ein Insasse des Gefängnisses und ein psychologisch betreuter, aber nicht allgemeingefährlicher Irrer. 20 Personen entscheiden in regelmäßigen Treffen über die Verteilung der Ressourcen, gemeinsame Bauvorhaben, die Bildung und Fortbildung, sowie medizinische Versorgung der Bürger. Es wird ein Kanzler gewählt, welcher das Land nach außen hin vertritt, die Steuern erhebt und sich um die Verwaltung kümmert. Ein mathematisch ausgeklügeltes System belastet Besserverdiener mit vergleichbar höherer Steuerlast, als Geringverdiener. Auch bei privaten Unternehmungen, z.B. einem Hausbau, greift man sich gegenseitig unter die Arme. Einige Familien sind etwas wohlhabender und drücken das in Statussymbolen, wie einem grösseren Haus, teuren Urlaubsreisen und einem dicken Auto aus. Anderen geht es nicht so gut, sie haben aber ein Dach über dem Kopf, eine gesunde Ernährung und erstklassige schulische und medizinische Versorgung. Alle verlassen die Schule mit einem Abschluß und lernen mindestens einen Beruf. Jeder hat die Möglichkeit sich an einer Universität einzuschreiben. 2 Unternehmer arbeiten länger als 10 Stunden pro Tag, die Arbeiter und Angestellten allerdings nur etwa 6 Stunden. Dafür gibt es keine Arbeitslosen. Die Unternehmer haben höhere Einkommen.

Angenommen, einer dieser Unternehmer würde jetzt versuchen Steuern zu hinterziehen und Geld einfach so im Ausland in einer Stiftung anzulegen. Was würde wohl passieren? Was, wenn einer der Bürger versuchen würde, die anderen mit unangekündigten Internetpreiserhöhungen abzuzocken? Was, wenn ein Jurist einen Bürger mit Hinweis auf ein unvollständiges Impressum im Internet abmahnen würde? Was wenn der Kanzler beschließt einen Atomtransport durch das Land fahren zu lassen oder Soldaten nach Afghanistan zu senden? Hallo, das Land hat nur 34 Einwohner. Jeder kennt jeden beim Namen und weiß in etwa über die persönlichen Verhältnisse bescheid. Na, was würde wohl passieren?

Die Auflösung ist: Der Common Sense setzt sich durch. Common Sense!! Preiserhöhungen, Abzocke, Abmahnungen, Atomtransport, Auslandseinsätze, alles das wäre nicht durchsetzbar. Im Gegenteil, die Protagonisten müssten sich auf empfindliche Sanktionen einstellen.

Was ist denn nun der Unterschied dieser kleinen Demokratie zu Deutschland? Können wir es uns leisten, dass 8% der Schüler ohne Abschluß von der Schule gehen? Wollen wir einen Juristenstaat, in dem Gerechtigkeit sich durch Paragraphen definiert, welche Abzocke im Internet und mit Abmahnwellen zulassen? Wollen wir ein Land, in dem Wohlhabende sich eine umfangreiche medizinische Versorgung sichern, während anderen lebensrettende Medikamente vorenthalten werden? Was ist das für eine Demokratie, in der 50% der Wirtschaftsführer sich aus den 0,5% der reichsten Bevölkerungsschicht rekrutieren, es praktisch keine Frauen oder Immigranten in wichtige Positionen schaffen in der 50% der Volksvertreter Juristen, Politologen, Lehrer, Volkswirte oder Beamte sind? Ist das der Wählerwille? Oder möglicherweise auch nur Ausdruck der Machtlosigkeit der Wähler?

Kommen wir zurück in unser kleines Land. Auch hier gibt es Reiche und weniger Bemittelte. Aber niemand muss Existenz oder Zukunftsängste haben. Bei der kleinen Zahl von Bürgern herrscht ein hohes Maß an Transparenz. Vorgänge können nicht anonym durchgezogen werden, alles kommt immer ans Licht. Man mag noch das Wort Überschaubarkeit hinzufügen. Der Informationsfluss ist fassbar und möglicherweise nicht durch Juristen verklausuliert, so dass jeder sich einen Einblick in die laufenden Vorgänge verschaffen kann. Und jeder kann ein Urteil fällen und in der nächsten Bürgerversammlung an den Aufträgen für die Exekutive, also den Kanzler, mitarbeiten. Warum soll das nicht auch in Deutschland möglich sein?

So geht Demokratie in Deutschland

Deutschland ist eines der bevölkerungsreichsten Länder der Erde, steht mit seinen über 82 Millionen Einwohnern an Platz 14. Von diesen sind rund 62 Millionen wahlberechtigt. Zuletzt haben sich 27 Parteien zur Bundestagswahl gestellt, von denen nur 7 über 2% der Wählerstimmen für sich entscheiden konnten. 3 Parteien nehmen für sich den Begriff Volkspartei in Anspruch, meinen also, dass nahezu jeder sie aus irgendeinem Grunde wählen kann. Das sind die CDU, SPD und CSU. Die anderen Parteien werden Klientelparteien genannt, weil sie eine bestimmte Wählerschaft ansprechen. Die FDP die Vermögenden und "die Wirtschaft", die Grünen die Umweltschützer und Abrüster, die Linke die Arbeiter, Armen und Linksintelektuellen und die Piraten die Internetgemeinde. Nur die Parteien, welche die bundesweite bei der Zweitstimmenauszählung die 5% Hürde nehmen oder es in mindestens 3 Wahlkreisen auf ein Direktmandat bringen, kommen in den Bundestag und können dort eine sogenannte Fraktion bilden. Ein einzelner parteiloser Abgeordneter kann auch direkt in den Bundestag gewählt werden und zwar über die Erststimme. Dieser wird dann fraktionslos sein.
In der Regel hat der Bundestag 612 Abgeordnete, durch sogenannte Überhangmandate können es durchaus auch über 620 werden. Auf dieses Detail möchte ich aber in diesem Zusammenhang nicht eingehen. Etwa die Hälfte der Abgeordneten wird im direkt über einen der 299 Wahlkreise in den Bundestag geschickt, die anderen kommen über die Landeslisten der Parteien. Ein guter Platz auf der Landesliste ist in der Regel Parteigranden vorbehalten, die sich über viele Jahre verdient gemacht haben. Neue Leute kommen meistens auf die hinteren Plätze.
Fast ein Viertel der Abgeordneten sind Juristen, 13,5% sind Lehrer und jeweils fast 5% Volkswirte, Politologen oder Beamte. Über die Hälfte der Abgeordneten kommt aus nur 5 Berufsfeldern. Nur etwas unter einem Drittel der Abgeordneten sind Frauen und wenn es um das Alter der Volksvertreter geht, dann liegt dieses mit etwa 50 Jahren rund 8% über dem deutschen Durchschnittsalter von 42 Jahren. Nur knapp über 2% der Abgeordneten sind unter 30 Jahre alt.

Die Wahlen zum Bundestag werden alle 4 Jahre abgehalten. Die Parteien präsentieren ihre Wahlprogramme, schalten Werbung, touren durch Bierzelte und sprechen an öffentlichen Plätzen (Merkel kommt ...). Der Wahlbürger guckt sich die Programme in der Regel nicht an, verteilt seine Sympathien und geht zur Urne. Dort angelangt darf er seine Erststimme (Direktkandidat) und seine Zweitstimme (Landesliste) vergeben. Meistens hat der Wähler sich zu diesem Zeitpunkt kaum mehr als eine Stunde mit der Person des Kandidaten beschäftigt. Verschiedene Zeitschriften bieten Wahlhilfen, z.B. den Wahl-o-Mat an, welche meist spielerisch zu Rate gezogen werden.
Auf jeden Fall werden jetzt 2 Kreuze gemacht, die den politischen Willen des Ankreuzenden auf 4 Jahre auf Gedeih und Verderb binden. Das Beste dabei ist: Die Wahlprogramme oder Wahlversprechen müssen nicht eingehalten werden. Obwohl der Wähler möglicherweise auf Grund des Wahlprogrammes bzw. der Wahlversprechen für einen Kandidaten und eine Partei entschieden hat, sind die Abgeordneten hinterher ziemlich frei in ihren Entscheidungsfindungen. Hinzu kommt, dass es in Deutschland üblich ist in geschlossenen Fraktionen abzustimmen. Das bedeutet, dass alle FDP Abgeordneten in der Regel stromlinienförmig gleich wählen, genau wie die CDU, CSU, SPD, Grünen oder Linken Vertreter. In einer Koalition können so ausgewiesene Minderheitsanliegen plötzlich ein Mehrheitsvotum bekommen. Auch wenn wirklich außergewöhnliche, nie da gewesene Dinge passieren, sind wir dem Gestaltungswillen und Urteilsvermögen der Gewählten ausgeliefert.
Und so kommt es dass: Eine Bank innerhalb weniger Wochen mit über 100 Mrd. Euro vor der Pleite gerettet wird, Soldaten nach Afghanistan versandt werden, Laufzeiten für Atomkraftwerke verlängert werden, den Hotels in Deutschland einfach 12% der Mehrwertsteuer geschenkt werden und einem Partnerland aus der Eurozone 8 Mrd. Euro Entwicklungshilfe versprochen werden. In Deutschland per Internet, Telefonmarketing, Knebelverträgen in Fitnesscentern, bei Banken, Versicherungen, Paybackkarten, Tankstellen, Telekomanbietern mit Hilfe des Gesetzes systematisch Abzocke betrieben werden kann.
Die Liste der Entscheidungen, welche mit größter Wahrscheinlichkeit von einer Mehrheit der Deutschen rundheraus abgelehnt würden, würde viele Seiten füllen.
Wir stehen ohnmächtig am Spielfeldrand und müssen uns damit zufrieden geben, dass die Macher demokratisch legitimiert sind und wir schließlich auch anders hätten wählen können.

Und spätestens jetzt fragen wir uns: Geht es auch anders? Was ist unsere Demokratie wert? Wer macht wirklich die Politik, wenn es so viele dubiose Entscheidungen gibt? Warum wird mir immer wieder erzählt, dass ich zum Mitwirken doch in eine Partei eintreten könne. Warum muss ich mich einem dieser Vereine anschließen, um gemeinsam mit anderen Bürgern meine demokratischen Interessen wahrzunehmen? Warum gibt es keine direkte Demokratie, wo ich zu den jeweiligen Fragen Stellung beziehen kann?

Das ist keine Demokratie

Frag die Leute um dich herum: Lebst Du in einer Demokratie? Die Antwort von 9 aus 10 ist eindeutig: Ja! Und gehst Du wählen? Hier wird es schon differenzierter. Nur 6 aus 10, manchmal weitaus weniger, werden mit Ja! antworten. Und wenn du dann noch ein Stück weiterfragst: Hat deine Stimme Einfluß auf die Politik? Dann dreht sich das anfängliche Verhältnis radikal um, denn 9 von 10 werden attestieren, dass sie eher das Gefühl haben, dass die gewählten Politiker eh machen, was sie wollen.
Das daraus resultierende Phänomen nennt sich dann Politikverdrossenheit.

Dieser Blog macht sich die Ursachenfindung für die Politikverdrossenheit, sowie die Formulierung von umsetzbaren Auswegen zur Aufgabe. Es geht um nichts weniger, als die Verwirklichung einer echten Demokratie. Yes we can.